Georg legte auf. Er war erleichtert, dass er Sylvia endlich die Wahrheit sagen konnte. Am Rand einer abgelegenen, kaum befahrenen Straße beobachtete er, wie das Auto ausbrannte. Georg war gründlich und er musste sicher sein, dass die beiden tot waren. Aber er hatte nicht viel Zeit, denn Edgar wartete in Inverness auf ihn. Sie mussten sich um diesen Glenn kümmern.

Georg war froh, dass er endlich einen Grund hatte, Sylvia über Pedro aufzuklären. Edgar hatte ihn darum gebeten, ihr nichts von ihm zu erzählen. Doch nun hatte sie es selbst herausgefunden. Jetzt gab es keinen Grund mehr für diese Heimlichtuerei. Vielleicht musste er dann auch nicht mehr so viel „aufräumen“. Georg war schon immer wortkarg und er wurde noch ruhiger und einsilbiger, als er damals erfuhr, dass Markus nicht sein richtiger Bruder war. Mittlerweile verabscheute er sich für das, was er tat. Aber es musste eben getan werden.

Der Mord an diesen beiden Menschen tat ihm leid.

 

Zuerst hatte er gewartet, bis Glenn wieder aufgebrochen war. Dann passte er einen Zeitpunkt ab, zu dem das Pärchen getrennt war.

Die Schlafenszeit der Menschen hatte Georg genutzt, den Tresorschlüssel an sich zu bringen und sämtliche Papiere, die von dem Schlosskauf oder auch nur der Absicht davon zeugten, in seinen Koffer zu stopfen.

Er war gnädig vorgegangen. Stumm und mit präziser Genauigkeit verrichtete er sein Werk. Die Frau überwältigte er im Badezimmer. Mit einem gezielten Handgriff versetzte er sie in die Bewusstlosigkeit. Den Mann fand er Zeitung lesend im Speisesaal. Auch ihn schlug er bewusstlos. Da Georg kein Verschwender war und die Menschen schwächen musste, zapfte er beiden mittels einer Kanüle viel Blut ab. Anschließend entnahm er seinem Koffer Heroin und spritzte es ihnen in die geschwächten Körper. Dabei achtete er peinlich genau darauf, dasselbe Einstichloch zu nutzen.

Auch an die Fernbedienung für das Tor hatte Georg gedacht. Er passierte das Tor, welches sich hinter ihm wieder schloss. Alles sah jetzt so aus, als wären die beiden, die schlaff hinter ihm auf dem Rücksitz lagen, nie hier gewesen.

Für die Polizei würde es aussehen, als wenn ein junges Paar unter Drogeneinfluss einen Unfall gebaut und tödlich verunglückt wäre.

 

Georg wandte sich von dem brennenden Autowrack ab. Er war angewidert von seiner eigenen Tat.

Auch wenn er selbst schweigsam und Markus draufgängerisch und kommunikativer war, so war er doch immer gern mit seinem Bruder unterwegs gewesen, weg von William, dessen Befehlen sie gehorchen mussten. Erst als sie erfuhren, dass Georg nicht blutsverwand mit William war, erhielten sie die Möglichkeit sich aus der Abhängigkeit zu befreien. Dennoch durchfuhr ihn auch jetzt wieder ein Schaudern, als er daran dachte, dass er William mit dessen eigenem Schwert, den Kopf abgeschlagen hatte. Nicht alle Schwerter konnten das. Die die es konnten, waren jedoch rar.

Georg erinnerte sich genau an diesen Augenblick. Er würde nie vergessen, wie leicht dieses Schwert durch Williams Haut, Sehnen und Knochen fuhr. Als sie noch junge Vampire waren, hatten Markus und er versucht, sich mit Messern, Äxten und anderen herkömmlichen Hieb- und Stichwaffen zu verletzen, nur um herauszufinden, welches Material dies konnte. Doch nichts konnte damals ihre Haut durchdringen. Das Schwert von William war anders. Es war wahrscheinlich aus reinem Silber. Wie William dieses Schwert je in seinen Besitz gebracht hatte, war Georg nicht bekannt. Es befand sich jetzt immer noch in Burjatien und dort war es sicher.

 

Am späten Nachmittag desselben Tages erreichte Georg Inverness. Glenns Büro befand sich in einer Fußgängerpassage. Über dem Büro hatte er seine Wohnung. Dem Büro gegenüber lag ein Kaffeehaus, in welchem Edgar auf Georg wartete. Ohne eine Begrüßung setzte sich Georg zu Edgar an den Tisch und sagte nur: „Sie weiß es!“

Edgar fragte: „Von dir?“

Georg schüttelte den Kopf und Edgar wusste, dass er zu diesem Thema nur Sylvia selbst befragen konnte. Es würde eine schwierige Unterhaltung mit ihr werden. Er ahnte auch, dass diese Unterhaltung in naher Zukunft stattfinden würde. „Wann ist sie da?“, fragte er.

Georg zuckte mit den Schultern. „Sie sagte, so schnell wie möglich.“

Das beruhigte Edgar, denn Sylvia würde trotz allem nicht überstürzt zur Burg zurückkehren, sondern – wie immer – ihre Spuren verwischen. 

„Das Segelboot liegt im Hafen und ist wie abgesprochen gebucht. Ich habe dafür gesorgt, dass du morgen an Bord gehen kannst. Hast du noch genug Drogen?“

Georg nickte. Edgar schwieg und dachte nach. Dann sagte er leise und mehr zu sich selbst: „Ich denke ich habe nichts vergessen.“ Er schob Georg gefälschte Papiere zu, welche dieser in seiner Jackeninnentasche verstaute. Dann sah Edgar auf seine Uhr. Nach seinen Berechnungen könnte Glenn frühestens in einer halben Stunde hier auftauchen.

Die beiden saßen am Fenster des Kaffeehauses und beobachteten das Haus auf der anderen Seite der Fußgängerzone, während sie leise noch einmal den Plan durchgingen. Edgar war der einzige der sprach, denn Georg nickte fast immer nur. Nur zweimal unterbrach er Edgar, um eine kurze Frage zu stellen. Nach zwei Stunden des Wartens sahen die beiden einen Lichtschein in Glenns Büro und Georg verließ das Lokal. Edgar beobachtete, wie Georg von Glenn hineingelassen wurde. Als er sah, wie Glenn die Jalousien schloss, erhob auch er sich. Edgar lief jedoch um den Häuserblock herum und näherte sich Glenns Domizil von der Rückseite. Wenn alles nach Plan lief, war Glenn schon bewusstlos und die beiden konnten mit ihrer Arbeit beginnen.

Georg öffnete die Hintertür und ließ Edgar hinein. Der warf einen kurzen Blick auf Glenn und begann, den Stapel Papiere auf dem Schreibtisch durchzusehen. Georg verließ das Büro auf demselben Weg, auf dem er gekommen war und schlenderte gemütlich um den Häuserblock. Dann war er plötzlich verschwunden. Ein paar Meter weiter hätte ein aufmerksamer Beobachter nur noch so etwas wie ein Türklappen beobachten können, so als ob ein Windstoß Glenns Hintertür kurz aufstieß und wieder zuschlug.

Während Edgar emsig die Papiere umschrieb, durchsuchte Georg in seiner gewohnten Gründlichkeit das Büro und Glenns Wohnung nach Papieren oder Bildern oder Hinweisen, die mit Sylvias Schloss in Verbindung zu bringen waren. Er fand Erinnerungsfotos von Glenn gemeinsam mit seiner Cousine, ein Foto von einem Gemälde, welches das Schloss zeigte und einige andere Kleinigkeiten. Peinlich genau achtete Georg darauf, keine Unordnung zu hinterlassen. Georg hatte sogar überall Staub gewischt. Zum Schluss packte er noch einen Koffer mit Glenns Sachen und trug diesen nach unten. Die Mappe mit den verräterischen Hinweisen gab er Edgar. Georg zog nun eine Spritze hervor. Die Kanüle führte er vorsichtig in eine Vene auf Glenns Handrücken ein und gab den Inhalt des Zylinders langsam in dessen Blutbahn ab.

Alles in den Papieren des Maklers wies jetzt darauf hin, dass die Burg von Edgar gekauft worden war, das tote Paar Ausschau nach einer Villa gehalten hatte und Glenn mit einem gewissen Jack Thomson einen Segeltörn gebucht hatte.

Georg entnahm eine Flasche Whisky aus Glenns Bar und schüttete den Inhalt bis auf einen kleinen Rest in die Toilette. Er drückte ein Glas an Glenns Lippen. Dann füllte er es mit Whisky halbvoll und stellte es neben die fast vollständig geleerte Whisky-Flasche. Sorgfältig überprüften die beiden noch einmal alle Details und verließen am Morgen unbemerkt das Haus. Während Edgar die Rückreise nach High Rock Castle antrat, begab sich Georg zum Vordereingang und drückte erneut die Klingel von Glenns Büro. Eine ganze Weile musste Georg klingeln und geduldig warten bis sich etwas regte. Schließlich öffnete sich die Tür und Glenn, der gerade zu einer unfreundlichen Bemerkung ansetzte, stutzte als er Georg sah. Man sah ihm an, dass er sich fieberhaft an den vergangenen Abend erinnern wollte. Schließlich sagte er: „Ich weiß, dass Sie gestern hier waren, aber ich kann mich an nichts mehr erinnern!“

Georg setzte eine verständnislose Miene auf und sagte: „Wie das denn? Wir haben doch gestern Abend alles abgesprochen. Erstens waren wir schon beim Du und zweitens müssen wir uns beeilen.“ Der Vampir ging ein Stück auf Glenn zu und wich angewidert zurück: „Sag mal: Hast du gestern noch mehr getrunken? Du wolltest doch deine Sachen packen und ins Bett gehen, damit wir heute Morgen in See stechen können.“

Glenn stotterte: „Was?“ Er hielt sich den Kopf und wankte. „In See stechen?“ Er sah Georg mit zusammengekniffenen Augen an: „Mit Ihnen?“

Jetzt signalisierte Georg Ungeduld. Mit Nachdruck wiederholte er: „Wir waren schon beim Du!“

Glenn wankte gefährlich und Georg stützte ihn. Er wies auf den Koffer hinter Glenn und meinte: „Na wenigstens hast du den Koffer noch gepackt“

Glenn sah sich ungläubig um. „Ich habe was?“ Da stand tatsächlich sein Koffer. „Daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern.“ Georg griff Glenn bei den Schultern und schüttelte ihn. Gequält jammerte Glenn: „Hör auf! Mein Kopf!“

„Mann, wir müssen los! Sind deine Papiere schon im Koffer?“

Glenn erwiderte jetzt leicht lallend: „Wovon redest du? Ich habe doch gar keine Zeit für so etwas!“

„Gestern Abend hast du noch gesagt, dass du dich die drei Tage loseisen kannst“, erwiderte Georg mit gerunzelter Stirn und leichtem Unmut in der Stimme. „Jetzt ist es auch zu spät für einen Rückzieher! Liegen die Papiere noch auf dem Schreibtisch?“ Er stieß den wankenden und stolpernden Glenn vor sich her und betrat mit ihm das Büro. Erleichtert rief er: „Na da liegen sie doch! Los steck sie ein! Ich nehme deinen Koffer und helfe dir.“

Glenn betrachtete ungläubig die Papiere. Mit zusammengekniffenen Augen erkannte er seinen Namen auf der Buchungsbestätigung und fing an zu stottern: „A-Aber ich… D-Das ist doch… Segeln? Mit Ihnen äh dir?“

Georg sah Glenn kopfschüttelnd an: „Also wirklich! Auf dem Boot bekommst du keinen Alkohol!“

Er schnappte sich die Papiere und steckte sie ein. Dann packte er Glenn am Arm, ergriff den Koffer und schob den völlig neben sich stehenden Makler aus der Tür. „Komm jetzt, die frische Luft wird dir guttun!“, sagte Georg und zog die Tür ins Schloss.

Glenn ging es gar nicht gut. Ihm war schwindlig und er konnte sich an nichts erinnern. Das Klingeln heute Morgen hatte ihm Kopfschmerzen bereitet und er hatte auf dem Weg zur Tür versucht zu begreifen, warum der gute teure Whisky fast alle war. Sollte er tatsächlich den ganzen Whisky allein getrunken haben? Hatte er deshalb eine derartige Gedächtnislücke? Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er mit diesem Mann drei Tage auf einem Boot verbringen wollte. Aber sein Name stand auf dieser Buchungsbestätigung. Glenn versuchte sich krampfhaft an irgendetwas zu erinnern – irgendwas! Aber da war nichts. Er wusste noch, dass er mit Georg ins Büro gegangen war, weil der ihn etwas fragen wollte. Aber dann war alles weg! Was wollte Georg eigentlich fragen? Er hörte ihn murmeln: „Wahrscheinlich ist dir das viele Geld zu Kopf gestiegen. Ich kann ja verstehen, dass man zur Feier des Tages mal einen guten Tropfen opfert, aber sich derart abzuschießen! Also wirklich!“

Glenn musste sich wohl oder übel damit abfinden, dass er einen Filmriss hatte. Er lief jetzt willig neben Georg her, wobei dieser ihn immer wieder stützen musste. Er würde die drei Tage schon überstehen. Vielleicht fiel ihm ja auch alles wieder ein. Georg machte ein peinlich berührtes Gesicht, als er mit Glenn den Hafen betrat. Glenn dagegen bat Georg, nicht so schnell zu laufen, damit sein wankender Gang nicht so auffiel.

Im Boot setzte Georg Glenn erst einmal auf den Boden und Glenn verfolgte die schnellen Bewegungen des großen Mannes. Er wusste, dass man den Hafen nur mit dem Hilfsmotor verlassen konnte. Das würde der schon allein schaffen. Wenig später bewegte sich die kleine Segelyacht auf dem Ness flussabwärts in Richtung Avoch Bay und dann weiter aufs offene Meer.